*Ich schaue aus dem Fenster und es regnet wieder. Das kann doch wohl nicht wahr sein. So lange haben wir auf diesen Tag hin trainiert und nun erwischen wir wohl den schlimmsten Regentag der Woche. Dies wäre theoretisch nicht so schlimm wenn wir nicht vor hätten 100 km in Richtung Mittenwald zu marschieren.
Es ist der 11. Mai und um 16 Uhr fällt für uns zum zweiten Mal der Startschuss für den Megamarsch München. Meine Arbeitskollegen Martin, Chris und ich stellen uns der Herausforderung. Ja, Martin und ich wollen es noch einmal wissen. Können wir unsere Zeit von 19 h 43 min schlagen? Für Chris ist es die Premiere, mal sehen wie es ihm so ergehen wird. Aber eines haben wir gemeinsam, die Aufregung vor dem Start.

Anders als letztes Jahr findet der Start nicht mehr an der Menterschwaige sondern direkt am Perlacher Forst statt. Es waren wohl zu viele Marschierende letztes Jahr, die den laufenden Betrieb der Wirtschaft gestört haben, nur so erklären wir uns den neuen Startort. Am Start eingetroffen staunen wir nicht schlecht wie viele Menschen sich bereits tummeln. Viele haben schon die Regenbekleidung an und einige Schirme sind gezückt, so auch meiner. Dieser muss vorerst reichen. Das Wetter meint es aber wirklich nicht gut mit uns. Es ist sehr stürmisch und extrem windig mit leichtem Nieselregen, nicht gerade die optimalen Bedingungen um 100 km zu gehen. Leider sagt der Wetterbericht ab 1 Uhr Nachts Starkregen mit Wind voraus – ich hoffe er behält nicht recht.


Die letzten Tage vor dem Marsch haben Martin und ich unser gesamtes Material-Konzept über den Haufen geworfen. Leicht wollten wir gehen, nun aber musste regendichte Kleidung her, und wasserdichte Schuhe gekauft werden. Ich habe gut 150 € in neue Sachen investiert die sich hoffentlich bezahlt machen. Mein Freund Philipp leiht mir auch seinen wasserdichten Poncho, dieser geht über Rucksack drüber und wehrt allen Regen gut ab.
Punkt 16 Uhr fällt dann endlich der Startschuss, für die Erste der Acht Gruppen. Und alle drängeln sich hektisch durch den engen Absperr- Schlauch in Richtung Start-Banner. Es wird gedrängelt und gedrückt, und ich werde von Chris und Martin abgedrängt. Überprüft werden unsere Starter-Bändchen durch das Hochhalten der Hände, dies hätte man wirklich auch anders lösen können, und sinnloses Gedränge wäre so vermieden worden. Schnell finde ich die beiden Jungs wieder und Martin und ich wir verabschieden uns von Chris, da wir in einer schnelleren Pace marschieren wollen wie er. Aber wir sind uns sicher, dass wir ihn wieder sehen werden.

Nun geht´s los, wir gehen zügig und überholen viele Mit-Marschierende. Noch befinden wir uns im Perlacher Forst, biegen aber zügig in die Geiselgasteigstraße in Richtung Bahngleise ein. Das Überholen nervt mich sehr und wir müssen fast im Gebüsch gehen da die Wege nicht allzu breit für soviele Menschen sind! Als wir an den Gleisen der BOB und des Meridian entlang gehen wissen wir, gleich sind wir in der Nähe der Großhesseloher Brücke. Keine zehn Minuten später haben wir diese überquert und machen uns Richtung Isarauen und Kloster Schäftlarn auf. Das erste große Ziel auf unserem Marsch.
Wir gehen parallel zu den Isartrails, die ich durch´s Biken und Trail Running wie meine Westentasche kenne. Entlang des Flosswehrs und Brückenwirtes marschieren wir, immer weiter in die Tiefen der Isarauen in Richtung Kloster Schäftlarn hinein. Der Weg schlängelt sich bergauf und ab und zieht sehr in die Länge. Martin erzählt, dass er hier bei einem seiner Trainings-Märsche einen kleinen Klettersteig entdeckt und bewältigt hat. Ganz schön wild, würde man hier gar nicht vermuten.


Auf der Höhe von Hohenschäftlarn müssen wir uns Richtung Isardamm begeben und passieren das „Geisterhaus“, wie ich ein altes verlassenes Haus getauft habe.
Neu waren dieses Jahr, Schilder mit der bisher zurück gelegten Distanz und Motivationsschilder. Aber auch Richtungspfeile auf dem Boden und als Schild gaben genügend Orientierung. Martin und ich waren sehr begeistert, letztes Jahr gab es deutlich weniger Information.

Nun mussten wir flott raus aus dem Unterholz, denn die Menschenmassen die wir bis jetzt alle abgehängt haben holen uns bei jeder Photo-Pause wieder ein. Von hier aus geht es gleich auf den Damm, und nach einiger Zeit erscheint rechts von uns das Kloster Schäftlarn.

Wir wissen wir haben die Halbmarathon Distanz nach dem Kloster erreicht. Wir freuen uns sehr, trotz der hohen Kälte und dem Wind der uns die ganze Zeit begleitet. Wir hoffen dass sich der Regen noch Zeit lässt, obwohl die Wolken in Richtung Ickinger Wehr schon sehr verdächtig Dunkel sind.

Nun gehen wir vom Bruckenfischer Gasthaus hoch auf den Damm bis zur Aumühle. Es sind noch genügend Marschierende vor uns, aber unsere Stimmung ist ungetrübt und der Gesprächsstoff geht uns noch nicht aus.

Der Kanal zieht sich sehr in die Länge bis wir schließlich die Überführung zum Gasthof Aumühle passieren. Es wird immer Dunkler, und die Regenwolken kommen immer näher.
Wir haben beschlossen, wie bei unserem 2018er Marsch, uns alle 10 Km zu Dehnen. Ich mache zudem Übungen gegen das Ermüden der Beine, welche mir schon bei langen Läufen und Trainings-Märschen geholfen haben.
Der Weg geht nun von Schotter auf Asphalt über, und wir marschieren durch die schöne Pupplinger Au. Einige Passanten kommen uns entgegen und begrüßen uns, was die sich wohl denken wenn sie soviele Menschen hier sehen?

Recht schnell erreichen wir die erste Verpflegungsstation, das Gasthaus Aujäger. Dieses Jahr haben wir auch beschlossen, jede Station zu nutzen um uns zu Dehnen und mit Essen zu versorgen, was uns reichlich Gewicht zum tragen spart. 100 Km können sehr lange werden und viel Gepäck belastet zusätzlich den Rücken.
Als wir die Verpflegungsstation erreichen staunen wir nicht schlecht über das reichliche Angebot an Essen: Bananen, Würschtl, Salzstangen, saure Gurken, Energy Cakes (ja pfui, an denen hab ich mir letzten Marsch den Ekel angefuttert) und noch viel mehr. Ich verputze gleich 3 Bananen und ein Milchbrötchen und ein selbst geschmiertes Avocado Brötchen mit viel Käse. Auch füllen wir unsere Wasserbehälter auf. Martin spoted einen Kunden von ihm an der Ausgabe und beginnt mit ihm zu ratschen. Typisch 🙂

Plötzlich steht Chris neben uns. Ich glaube er war keine zehn Minuten von uns entfernt. Wir freuen uns ihn zu sehen und tauschen unsere bisherigen Erfahrungen aus.
Gut gestärkt verlassen wir Drei nun gemeinsam die erste Verpflegungsstation und gehen in die kommende Nacht hinein. Wir passieren die Flösser Brücke und marschieren nach Wolfratshausen. Der Weg ist ab hier der gleiche wie letztes Jahr. Durch´s Unterholz geht es, an der Isar und Sportplätzen entlang, mal auf Asphalt dann wieder Schotter, hier ist alles dabei. Leicht schimmert der McDonalds von der anderen Isaruferseite zu uns herüber. Wir witzeln dass wir uns hier noch schnell stärken könnten, aber machen wir natürlich nicht!
Martin und ich wissen vom Vorjahr, dass es ein langer Marsch neben der Bundesstraße wird. Die Stirnlampen werden gezückt und montiert. Durch die Wolken ist es jetzt schon dunkel und es weht ein starker Wind während wir ratschend und lachend in die Nacht hinein gehen. Einige laufen mit Musikboxen vor uns her und bringen etwas Abwechslung in die Nacht. Chris wird langsamer und wir lassen ihn wieder hinter uns. Nun gehen wir immer weiter durch Eurasburg und kleinere Ortschaften, aber unser nächstes Etappen- Ziel ist die zweite Verpflegungsstation bei Beuerberg bei ca. 40 Km. Leider gibt es hier keine Weg-Highlights zu berichten wie letzes Jahr. Da hatten wir Schafe im Unterholz, mehrere Diskos mit lauter Ballermann Musik und uns begrüssende Dorfjugendliche. Dieses Mal ist, wohl durch das schlechte Wetter, alles etwas ruhiger.

Endlich erreichen wir Beuerberg und die Verpflegungsstation an der Pizzeria. Wir füllen unser Wasserbehälter auf und nehmen uns noch Essen mit auf den Weg und prompt steht Chris mit einem Stück Pizza in der Hand neben uns. Er ist nicht viel langsamer wie wir. Aber wir müssen weiter und verabschieden uns von Chris der hier eine Pause einlegt. Als wir die Pizzeria verlassen sehen wir dass Busse zum Abholen von Marschierenden bereit stehen. Letztes Jahr war man auf Support angewiesen der einen abholen musste wenn man nicht mehr gehen konnte. Aber Gott sei Dank hat der Veranstalter dazu gelernt. Wieder etwas Positives!
Unser nächstes großes Etappen-Ziel ist der Bahnhof Bichl. Dafür müssen wir aber noch einen riesigen Umweg durch Bauerngehöfte gehen. Das ist ein langes und hartes Stück durch die Nacht. Nach ein paar Kilometern sehen wir auch schon den Umweg vor uns. Ein Auto vom Veranstalter kontrolliert ob alle den gleichen Weg gehen und nicht an der Bundesstraße abkürzen. Der Weg führt uns erstmals steil eine Asphaltstraße bergauf und dann zieht sich der Weg an Bauernhöfen und Viehställen entlang. Es gehen kaum Marschierende vor uns, so müssen wir gut aufpassen und navigieren. Der Wind bläst besonders stark in unsere Gesichter, da die Höfe auf einer Anhöhe liegen und rings herum alles Frei-Fläche ist. Zu allem Übel setzt der Nieselregen wieder ein und wird leicht stärker. Petrus macht es uns hier nicht gerade einfach. Aber wir gehen stetig weiter tief in die Nacht hinein und überqueren Wiesen und gehen an Pferdeställen vorbei. Die Pferde schauen uns gespannt an und denken sich wohl ihren Teil. Plötzlich ruft Martin laut „HALT! Wir sind falsch!“ Na Klasse, haben wir vor lauter Pferde anschauen wohl die Abzweigung übersehen. Gott sei Dank, ist es ihm rechtzeitig aufgefallen. Ich schaue sicher aber sicherheitshalber noch einmal auf der GPS-Route am Handy nach. Nach einer kurzer Orientierungsphase finden wir den Weg wieder und gehen weiter. Entlang der Pfeile auf dem Boden und an den Bäumen hangeln wir uns am Weg entlang. Einige Läufer überholen uns. Ein Typ im Superman Kostüm überholt uns im Laufschritt, ihn sehen wir weiter drei Mal auf diesem Weg. Wo er herkommt und hinläuft ist uns ein Rätsel. Es sind schon manchmal komische Leute bei solchen Events dabei.
Nach einiger Zeit werden wir stutzig, waren wir hier schon einmal? Der Weg kommt uns sehr unbekannt vor. Waren wir hier letztes Jahr auch schon? Wir glauben es nicht, der Teil sieht neu aus, aber die Pfeile lotsen uns immer weiter. Plötzlich sehen wir ein Licht, an einem Baum. Ist dies ein Marienschrein der so hell leuchtet mitten in der Nacht? Als wir dem Licht immer näher kommen sehen wir zwei Burschen an einem Auto stehen. Sie bieten uns selbstgemachte Energiekugeln an. Ich lehne dankend ab, aber Martin greift beherzt gleich Zwei davon.
„Wo bitte ist die Bundesstraße?“
Nach einiger Zeit sehen wir endlich Auto-Lichter. Wir sind wieder an der Hauptstraße. Gott sei dank! Der Weg war Neu, da sind wir uns einig. Und im Nachhinein stellt sich dies auch als Richtig heraus, wenn man die GPS-Daten anschaut. Warum dem so ist, ist uns ein Rätsel da es keinen weiteren Umweg gebraucht hätte. Auch kommt uns die Kilometer Angaben vom Organisator komisch vor, unsere Uhren haben bereits mehr Kilometer auf dem Tacho als uns die Schilder weismachen wollen. Was ist denn da los?
Auch eine weitere Dehnpause muss dringend eingelegt werden. Mein ganzer Körper ist sehr steif und das Dehnen tut meinen Beinen und meiner Hüfte sehr gut.
Ab jetzt setzt leider der Nieselregen wieder ein und wird immer heftiger. Wir gehen entlang der Loisach und Martin sieht eine Bank zum Hinsetzten und wir beschließen unsere Ausrüstung auf Regen zu wechseln. D.h. es werden Regenhosen und Jacken sowie die Gore-Tex Schuhe angezogen. Ich setzte mir auch ein wasserdichtes Regencapi auf und ziehe Philipps Regenponcho an. Das Umziehen dauert zwar etwas, aber länger hätten wir nicht warten dürfen denn der Regen nimmt stark zu.
Kein schönes Wetter zum Marschieren!
Schnell passieren wir Penzberg und kommen an der Kläranlage vorbei, nächste Ziel ist immer noch Bichl. Der Regen prasselt auf uns nieder und das Wetter verlangt uns alles ab. Ich merke plötzlich dass der Kopfschutz von meinem Poncho verrutscht ist und meine Mütze sich in Regenwasser tränkt. Martin muss mir helfen diese wieder zurecht zu rücken, in dem Poncho ist man nämlich sehr unbeholfen. Ab jetzt nerve ich ihn ob meine Mütze richtig sitzt (gefühlt alle zwei Minuten), und hoffe er nimmt es mit Humor.
Die Materialwahl und das Extra Gepäck stellt sich als absolut richtig heraus.
Ohne Gore-Tex Schuhe wären wir hier schnell verloren. So gehen wir im Platzregen in Richtung Bichl und kommen an einem kleinen Verpflegungsposten vorbei. Hier tummeln sich Marschierende unter einem beleuchteten Pavillon um dem Regen zu entkommen. Auch sehen wir einige Autos parken, wohl Support-Crews von Marschierenden. Bichl ist nicht mehr weit, wir müssen nur noch an der mit Laternen bespickten Bundesstraße entlang. Es sind nur noch wenige Leute vor uns. Alle sind ebenfalls gut in Regenkleidung verpackt und kämpfen sich wie wir tapfer durch die Nacht.
Endlich sind wir angekommen, am Bichler Bahnhof. Letzes Jahr waren wir hier um 2 Uhr 32 Min Nachts. Dies weiß ich noch sehr genau, da Martin hier ein komisches Hanf-Energy Getränk trank während er sich dehnte. Dieses Jahr zeigt die Bahnhofsuhr 2 Uhr 34 Min an und wir sind nicht alleine. Ein Mit-Marschierender ist auch auch da und richtet sein Equipment. Wir dehnen uns, und Martin wechselt seine Regenjacke gegen eine Hard-Shell Jacke mit wesentlich höherer Wassersäule. Was uns am Bahnhof komisch vor kommt sind die parkenden Autos mit erstaunlich vielen Menschen. Werden hier Teilnehmer gefahren oder nur supported? Wir rätseln? Support kann man oder auch nicht. Ich finde es macht schon einen großen Unterschied ob man seine Sachen gefahren bekommt oder alles aus eigener Kraft und mit Hilfe der Verpflegungsstationen bewältigt bekommt. Bei einem „echten“ Wettbewerb bwz. einem „Lauf-Ultra“ mit Zeitmessung führen solche Support Crews zu einer Disqualifikation.
Aber wieder zurück zum Marsch. Der Weg durch Bichl steht halb unter Wasser. Entlang an Bahngleisen und Baustellen gehen wir, da hätte es bestimmt eine bessere Alternative gegeben. Auf Gleisen gehen, geht einfach nicht!
Nichts desto trotz, die Devise lautet – Benediktbeuern wir kommen! Aber in uns wächst bereits die Angst was uns bei diesen krassen Bedingungen erwarten wird. Der Höhenweg am Pfisterberg unterhalb des Dachsenberges ist bei trockenen Bedingungen in der Nacht schon kein Spaß, geschweige denn im strömenden Regen. Angespannt marschieren wir dahin.
Nicht lange und wir sind in Benediktbeuern angekommen und gehen fast schweigend in Richtung Pfisterberg. Wir gehen und gehen und plötzlich ertönt laut von einem Marschierenden: „Halt! Dies ist nicht der Weg!“. Shit!! wir schauen schnell auf den Weg ob wir Markierungspfeile sehen, aber wir finden keine. Gut weitere zehn Personen stehen nun hinter uns und versuchen den Weg zu finden. Ich zücke mein Handy und schaue auf die Route. Schnell habe ich sie wieder gefunden und wir gehen alle gemeinsam wieder auf den richtigen Weg zurück. Puh, Glück gehabt!!! Man darf sich einfach nicht auf andere verlassen, sondern muss immer wachsam bleiben und den Wegmarkierungen folgen. Ich hoffe dies passiert uns nicht am Berg.
Angespannt und schweigend gehen wir nebeneinander. Der schwierigste Teil beginnt.
Wir gehen im Regen bergauf in Richtung Höhenweg. Martin zückt seine Taschenlampe und ich mein Outdoor-Handy dem der Regen nichts ausmacht. Auf diesem Wegabschnitt sehen wir keine Markierungen, leider! Diese hätten uns sehr geholfen. Und ja, der Weg ist sehr rutschig, alles ist ekelig nass und gefährlich! Der Regen macht die Wurzeln glatt wie Eis und der Dreck steht uns bis zu den Knöcheln. Das Überqueren, des mittlerweile vom Regen gut gefüllten Gebirgsbaches, über glatt polierte Holzplanken erachte ich als grob fahrlässig! Vielleicht überdenkt der Veranstalter diese Route in Zukunft, da sie einfach viel zu gefährlich ist. Einmal Ausrutschen hat hier erhebliche Konsequenzen, und selbst meine Trailschuhe kommen hier an Ihr Grip-Limit. Ein Mit-Marschierender klebt mir förmlich in den Haken und rutscht dauernd auf den nassen Steinen und Wurzeln aus. Ich gebe ihm sehr beherzt zu verstehen dass er bitte Abstand halten soll. Wenn wir beide fallen, dann nicht ohne Folgen.
Und ja, ich kotze, ich kotze im Strahl. Der Weg ist genauso furchtbar wie wir ihn uns bei Starkregen ausgemalt haben. Und ich friere, meine Stirnlampe ist verrutscht und ich halte sie mit meiner Hand fest, und Regen läuft in mein Ärmel. Martin´s Lampe macht mehr Licht als meine Stirnlampe und ich versuche ihm zu folgen. Plötzlich kommen wir auf eine Wiese, na großartig! Nun dappen wir durch Matschlöcher die mit Wasser gefüllt sind. Ich schaue immer wieder auf mein Handy um den richtigen Weg zu finden. Oberhalb von unserem Abenteuer-Matsch-Trail sehen wir Lichter sich bewegen. Das sind doch Marschierende die auf dem leichteren Forstweg gehen! Wir sind verärgert und kommen uns verarscht vor, denn dies ist nicht der offizielle Weg! Aber wir schummeln nicht! Nein, wir kämpfen uns durch den Walddschungel und nehmen nicht die leichtere Abkürzung. Ja, ich bin erbost über Schummler und auch über den Veranstalter! Der Regen war angesagt und die Strecke hätte man locker verlegen können! Grob fahrlässig ist dieser Weg und unnötig dazu!
Bis es dämmert dauert es noch eine Weile denke ich mir.
Gott sei Dank sind wir irgendwann raus dem Wald und gehen Richtung Kochel! Auf einmal hören wir unsere Namen und sehen Chris hinter uns gehen. Wir freuen uns ihn zu sehen und sprechen über den gerade absolvierten Höllenritt durch den Wald. Es regnet weiter und unsere Schuhe sind komplett durchnässt, die Socken patsch nass, und ich beschließe an der Verpflegungsstation erstmals meine Füsse gründlich zu pflegen. Chris kämpft auch mit seinem Equipment. Wir müssen weiter, und die Wut treibt mich an. Ich hatte kurzzeitig überlegt bei Kochel einfach auszusteigen. Aber nun packt mich der Kampfgeist und die Wut, ich möchte das Ding finishen, und das treibt mich an.
Ich laufe, ja, ich laufe nach Kochel ein. Meine Beine danken es mir für die Abwechslung! Als wir um 5 Uhr 30 Min an der Verpflegungsstation ankommen befinden sich bereits viele Marschierende in der Gaststätte die sich ausruhen und stärken.
Schnell haben wir einen Platz gefunden und und ich beginne mein Poncho von mir zu schälen. Er hält dicht und macht bislang einen super Job. Als erstes kümmere ich mich um meine Füße. Ich ziehe die nassen Schuhe und Zehensocken aus, und reinige mit Feuchttüchern meine Füße vom Schmutz. Dann trockne ich sie mit einem Mikrofaser Handtuch ab, creme sie mit Hirschtalg ein und ziehe wasserdichte Bike-Socken an. Oh wow! Das fühlt sich richtig, richtig gut an. Die Trinkblase wird mit Wasser und meine Flask mit einem Elektrolyt-Pulver aufgefüllt. Auch versuche ich etwas zu essen, aber außer einer Banane bekomme ich nichts runter. Daran muss ich in Zukunft arbeiten sonst bin ich total entkräftet und bekomme Migräne. Ich stopfe mir auch ein Paar Coffeein Shots, Dextro Energy und Chimpanzee Riegel in meine vorderen Rucksack Taschen, für den Fall der Fälle, und dann sind wir auch schon ready to go. Als wir wieder starten muss Martin natürlich wieder meine Mütze am Poncho zurecht rücken… same procedure as all night long.
Ich beschließe das Martin sein Rennen geht und ich meines!
Martin sprintet los, wir kommen am Franz Marc Museum vorbei und ich versuche seine Geschwindigkeit zu halten merke aber schnell dass ich nicht mithalten kann, versuche es aber tapfer weiter. Wir gehen am Ufer des heute so grauen Kochelsees entlang, die Wolken hängen tief in den Bergen und der Regen tropft gewohnt auf uns nieder. Ich merke schnell dass ich so schnell nicht mehr gehen kann. Auf diese Situation hatte ich mich vorab schon eingestellt. Martin ist einfach schneller wie ich und in meiner Pace zu gehen wäre für uns beide nicht das Richtige. Ich beschließe das Martin sein Rennen geht und ich meines! Er ist etwas skeptisch am Anfang, doch ich überzeuge ihn. Dies ist die richtige Entscheidung für uns beide. Mein Selbstbewusstsein und Kampfgeist sind groß und ich weiß ich kann dies auch alleine bewältigen, und Martin sowieso. Wir verabschieden uns und wünschen uns Glück und gutes Durchhaltevermögen! So nun bin ich Solo unterwegs, und der fiese und steile Kesselberg kommt!

Der Anstieg beginnt und ich schnaufe tief. Mein Ziel ist es nicht allzu viel Energie zu verschwenden und den Kesselberg lieber in kleinen Portionen zu bewältigen. Ich halte immer wieder an und kämpfe mich nach oben, die Musik in meinen Ohren feuert mich an. Ich bin sehr glücklich meine Kopfhörer mitgenommen zu haben, so wird´s nicht ganz so langweilig.

Der erste Anstieg ist geschafft nur noch den zweiten Teil des Weges erklimmen. Es zieht sich stetig nach oben, und ich höre die Straße neben mir rauschen. Als ich endlich oben ankomme erwartet mich ein Kilometer- und Motivationsschild und ich nehme den Super Mario Power-Up Pilz gerne an und hoffe dass er Wirkung zeigt.


Ich suche den Wegweiser-Pfeil und finde ihn schnell vor mir. Jedoch zeigt dieser Pfeil in Richtung Herzogstand hinauf. Auch sehe ich einige Marschierenden diesen Weg gehen. Ich weiß der Weg führt als Höhenweg oberhalb der Straße in Richtung Herzogstandbahn entlang, aber stimmt dies auch? Ich beginne etwas unschlüssig hinauf zu gehen bis ich ein lautes Rufen hinter mir höre: „SOOOOOONJJJAAAA!!! Hier entlang!“
Und da ist er wieder – Chris, mein Kollege. Ich gehe schnell den Weg hinunter. Puh, er hat mich gerettet. Ich erkläre knapp meinen Tunnelblick und bedanke mich recht herzlich bei ihm, wir sehen uns bestimmt wieder. Ohne ihn wäre ich um ein Haar wirklich da rauf gegangen. Wahrscheinlich zeigen die schlechten Witterungsbedingungen und die durchmarschierte Nacht ihre Wirkung auf mich. Gott sei Dank habe ich aber keinen Migräne-Anfall wie letztes Jahr. Das würde mir gerade noch fehlen!

Ich gehe und gehe um den Walchensee herum und der Regen wird zu Schneeregen. Das Wetter ist eine Katastrophe dieses Jahr. Und der Weg ist lang und langweilig zugleich. Ich überhole einige Männer, Frauen sehe ich weit und breit keine, bin ich die Einzige grad? Auch kann ich Martins auffällige rote Jacke nicht mehr in der Ferne sehen. Er ist bestimmt schon über alle Berge. Ich trotte alleine um den See herum, es sind fast keine Autos unterwegs geschweige denn irgendwelche Menschen. Die letzte Verpflegungsstation werde ich nicht mehr nutzen da ich alles habe und einfach nur weiter gehen möchte. Als ich mich umdrehe sehe ich zwei Männer aus dieser Station kommen, sie sind auf der gleichen Mission wie ich und marschieren beherzt die Straße entlang.
Der Weg führt mich nun entlang des Wickinger Dorfes welches als Schauplatz für „Wicki – Der Film“ diente, und dann weiter bis zum Camping Platz am Zipfel des Sees. Aber nun muss ich endgültig mein Handy zücken und auf die Strecke zu schauen. Die GPS-Strecke sagt mir ich muss auf die Seestraße gehen und dieser dann als Forststraße mit leichter Steigung durch den Wald folgen. Gesagt getan, während nun Schneeregen leise und stetig auf mich nieder prasselt setzte ich mich wieder in Bewegung. Der Weg ist hier das Ziel, und ich will nur noch weiter.
„Halt, hier entlang! Der Pfeil zeigt in Richtung Wald!“ rufe ich ihnen entgegen.
Bald erreiche ich eine Straße die leicht bergab führt. Die zwei Männer überholen mich, da ich anhalte um ein Coffein Shot zu trinken. Ich muss wach und wachsam sein um eventuellen Schwindelanfällen entgegenzuwirken. Sie fangen an die Straße bergab zu laufen. Ich folge ihrem Beispiel und beginne ebenfalls leicht zu traben. Das tut ganz gut, meine Wadenmuskulatur ist ziemlich dicht und angespannt durch das lange Gehen und freut sich über jede alternative Bewegungsart. Aber die zwei Burschen laufen an dem Orientierungspfeil vorbei, shit! „Halt, hier entlang! Der Pfeil zeigt in Richtung Wald!“ rufe ich ihnen entgegen. Sie halten, kehren in die Pfeil-Richtung um und bedanken sich. Ab jetzt gehen wir zusammen weiter. Ein bisschen Small Talk hier und da, während wir uns durch´s Unterholz schlängeln. Ein weiterer junger Mann erscheint hinter uns und schließt sich unserer kleinen Gruppe an. Wir gehen und ratschen – nun bin ich nicht mehr alleine unterwegs.
„Mein Name ist Claus und ich wohne in München Giesing.“
Unsere kleine 4er Gruppe rennt fast alle Wege die es zu laufen gibt. Der junge Mann stellt sich mir vor. Er heißt Claus und wohnt ein paar Hausnummern entfernt von mir. Er macht auch Ultras und ist auch für den Zugspitz Ultra Trail angemeldet, wie ich auch. Was für ein Zufall! Die Welt ist ein Dorf! Wir ratschen und ratschen und gehen zügig weiter. So vergeht die Zeit wie im Flug.
Ich habe meinem Freund versprochen ihn anzurufen wenn ich bei Kilometer 85 bin, damit er in Richtung Mittenwald aufbrechen kann. „Puffel, Puffel (ja, so nennt er mich), du hast es bald geschafft!“ – tönt es aus dem Hörer. Ich schildere kurz dass ich bald da bin und das ich Begleitung gefunden habe. Wir verabschieden uns, und seine Anfeuer Rufe motivieren mich nochmals! Vor dem Start habe ich eine Google Maps eine Standortfreigabe an alle unsere Supporter geschickt, damit man mich live tracken und mitverfolgen kann wo ich mich gerade befinde.
Auch im Falle eines Unfalls weiß man so wo ich stecke.
Unsere Gruppe kommt bisschen ins Stocken bei der nächsten Kilometerangabe des Veranstalters. Es steht 86 Km obwohl wir schon weiter sind laut unserer GPS-Uhren und Tracking Apps. Komisch! Martin und mir ist dies ja schon in der Nacht aufgefallen und nun passiert das gleiche. Aber bei vier unterschiedlichen GPS-Uhren? Wirklich merkwürdig! Aber es hilft nix, wir müssen weiter!
Wir gehen 4 Kilometer und angezeigt wird nur 1 Kilometer, da stimmt aber was gewaltig nicht mehr!
Wir watscheln ratschend durch Wallgau hindurch in Richtung Buckelwiesen und Claus und ich hängen die beiden anderen Jungs ab. Wir gehen stetig weiter und laufen kleinere Passagen zur Auflockerung. Die Kilometeranzeige des Veranstalters wird immer wilder und blöder. Wir gehen 4 Kilometer und angezeigt wird nur 1 zurückgelegter Kilometer, da stimmt aber was gewaltig nicht mehr! Und ich kenne den Weg, letztes Jahr habe ich hier gut Lehrgeld zahlen müssen!

Rauf und runter, rauf und runter, immer wieder. Der Weg ist sehr zermürbend und bietet keinen schönen Ausblick, aber Claus und ich haben genügend Gesprächsstoff zum Ratschen. Mein Beine sind zwar steif, da hilft erneutes Dehnen nicht mehr wirklich, aber wir gehen tapfer weiter. An den Füßen habe ich im Gegensatz zu letztem Jahr keinerlei Beschwerden (Blasen o.ä.). Gott sei Dank! Nass sind die Schuhe und Socken trotzdem, und Petrus gibt uns keine Auszeit vom Regen, es tröpfelt weiter und weiter….. unermüdlich!
Nach gefühlten Hundert Jahren lassen wir die Buckelwiesen endlich hinter uns und müssen die Bundesstraße nach Mittenwald kreuzen. Nur noch ein Paar Kilometer und wir sind im Ziel! Die Pfeile am Boden zeigen uns den Weg!

In Mittenwald angekommen, folgen wir den Wegweisern die uns nochmals durch die ganze Stadt lotsen. Jetzt langt es mir langsam! Ich will nur noch finishen und wir eilen flott ´gen Bahnhof Mittenwald. Dort ist das Ziel!


Als wir das Ziel in der Ferne sehen, beginnen wir fast zu laufen. So sehr freuen wir uns! Ich sehe auch schon meinen Freund Philipp und meine Freundin Barbara uns wild zuwinken! Ich freue mich riesig, nach all den Strapazen und dem unfassbar schlechten Wetter, endlich durch´s Ziel zu gehen! Nur noch ein Paar Schritte, gleich ist es geschafft, und wir gehen hindurch! Die pure Erleichterung und Freude ist uns in´s Gesicht geschrieben! Endlich da! Wir müssen uns endlich hinsetzten und ein Weißbier trinken. Das war Claus und mein großes Ziel – das Finisher Weißbier!

Wir haben es geschafft – 19 Stunden und 13 Minuten habe ich für diese harten 106,51(!) Kilometer an Zeit marschiert! Damit habe ich meine Zeit von letztem Jahr um 30 Minuten unterboten und bin so krass an meine Grenzen gegangen wie noch nie in meinem Leben! Ich kann sagen der Dauerregen, die Kälte und die unnötigen Kilometer die sich der Veranstalter verrechnet hat machten diesen Marsch wirklich zur Tortour! Aber ich weiß nun das ich viele Reserven abrufen und extreme Situationen wie diese meistern kann. Und bin deshalb extrem stolz auf mich und meine Leistung!
Martin kam gut 1 1/2 Stunden vor mir in´s Ziel. Chris kam ungefähr 1 bis 1 1/4 Stunden nach uns an. Leider erging es ihm nicht so gut ab Walchensee, jedoch hat er die Zähne zusammen gebissen und es geschafft, leider nicht ganz ohne Folgen.
Fazit:
Ein drittes Mal mache ich diesen Marsch nicht mehr! Da ich zweimal bewiesen habe das ich bei allen Wetterbedingungen den Marsch absolvieren kann. Gefreut hat mich die extrem gute Streckenmarkierung mit Pfeilen und Motivationsschilder, außer am Höhenweg von Benediktbeuern. Super waren auch die gut ausgestatteten Streckenverpflegungen und dass es Transportmittel zum Abholen von Marschierende gab.
Leider gibt es ein massives Minus im Bezug auf das Anmeldeverfahren, die Abholung der Starterpakete, die stetige Emailflut, die schlechte Streckenmessung (sorry – ganz, ganz übel!) und den Streckenweg durch den Pfisterberg!
*Unbezahlte Werbung, da Markennennung, Veranstaltungsnennung, Ortsnennung!