*14 Stunden und 43 Minuten brauche ich bis ich durch das Ziel-Tor laufe. Eigentlich hatte ich mit zehn bis elf Stunden gerechnet, doch fast 14 Stunden?, das ist ´ne ganz andere Hausnummer. Was ist passiert?
Was einen bei der Ankunft in Grainau erwartet
Auf dem Weg zu Deutschlands bekanntesten Trailrunning Event dem Salomon Zugspitz Ultratrail fahre ich mit leichten Halsschmerzen. Ich habe mich für den Supertrail angemeldet, dies bedeutet ich Laufe 63,50 Km und 2984 Hm von Leutasch in Tirol, über Mittenwald nach Grainau. So weit bin ich zwar schon zwei Mal gegangen aber nicht gelaufen.
Auf dem Weg nach Grainau zum Racebriefing erreicht mich die Email vom Veranstalter, dass der Ultratrail und der Supertrail XL nicht wie geplant auf ihren Strecken starten, sondern auf meine Supertrail Strecke verkürzt werden. Hui, mehr Läufer heißt: Stau am Berg! Auch das Wetter scheint trotz Juni, für das Race Wochenende nicht optimal. Es werden schwere Unwetter voraus gesagt, und die etlichen Alt-Schneefelder auf der Strecke machen den Rest. Der Veranstalter geht hier kein Risiko ein und legt die Strecken zusammen. Für mich heißt dies früher als eigntlich geplant aufstehen und hoffen dass die Halsschmerzen nicht schlimmer werden.


Nach der reibungslosen Abholung der Start-Unterlagen in Grainau steigt bei mir die Nervosität und ich versuche sie vor dem Race Briefing im Grainauer Musikpavillon durch einen kurzen Blick auf das Expo Gelände zu vertreiben. Das Publikum sprich die Teilnehmer lenken mich sehr ab. Teilweise wird hier in kompletter Lauf-Montur geposed, wahrscheinlich müssen einige Teilnehmer sicher gehen das sie dazu gehören, und viele sehen aus als ob sie den Lauf schon absolviert hätten oder gleich starten würden. Ois Vogelwuid!

Nun ab in den übervollen und extrem lauten Musik-Pavillon, das Race-Briefing wartet. In 15 Minuten erklärt die Rennleitung nochmals ihre Entscheidung und führt uns durch den Kurs. JETZT werde ich sehr nervös und ich kann kaum den morgigen Tag erwarten.


Endlich hat das Warten ein Ende – Race Day in Leutasch Tirol
Der Wecker klingelt zu früh für mich. Es ist 5 Uhr 30 min Morgens, und ich bin plötzlich hell wach. Die Sonne scheint, keine Wolke ist am Himmel zu sehen und es ist sommerlich warm. Ich hoffe das besagte Unwetter verzieht sich! Meine Halsschmerzen sind weder besser noch schlechter geworden. Was soll´s sage ich mir, ich geh heute lange Laufen. Falls ich ich merken sollte dass es erheblich wird schlimmer dann DNFe ich eben. Das klingt doch nach einem Plan. Abermals gehe ich meine vorgeschriebene Mandatory Gear-Liste durch und esse noch schnell etwas in unserer Unterkunft. Die Zeit verfliegt nämlich wie im Flug und ich muss auch schon zum Start nach Leutasch zum Musikpavillon.

In Leutasch angelangt tummeln sich schon etliche, genauso nervöse Trail-Läufer wie ich, am Musikpavillon. Es gibt zwei Start-Blöcke. Block 1 startet um 8 Uhr und Block 2 um 8 Uhr 15 Min. Ich starte im zweiten, somit verschieben sich auch meine Cut-Offs um 15 Min nach hinten.


Als der Countdown zum Start gezählt wird steigt meine Nervosität in´s unermessliche. Es wird runtergezählt, und endlich fällt der Startschuss. Wir laufen durch Leutasch in Richtung Scharnitzjoch, der erste Anstieg mit 1100 Höhenmetern. Ich merke schnell dass ich nicht zu 100 % fit bin und muss einen Gang langsamer machen. Mir fehlt schlichtweg die Luft zum Atmen und mein Hals ist zu trocken. Alles irgendwie nicht optimal.


Langsam jogge ich ca. 2 Km zum Anstieg und sehe bereits einen Stau aus Trailrunnern. Ich zücke meine Stöcke und trabe den hässlich, langweiligen und zugleich steilen Geröll-Forstweg hinauf, und schnaufe stark. Dann kurz vor der Wettersteinhütte muss ich 15 bis 20 Minuten anstehen. Ja sauber! Aber das hatte ich ja schon befürchtet wenn drei Strecken zusammen laufen. Ich reihe mich ein, trabe im Ameisenschritt den anderen Läufern hinterher. Zefix, ich hab mit der Nummer brutal viel Zeit verloren! Nur der Anblick des Massivs entschädigt ein bisschen!

Und was rauf geht muss auch runter, sagt ein Gesetz. Ich schaue auf die Uhr, ahhh shit, der Cut-Off ist zu nahe! Jetzt aber Vollgas! Ein grosses Alt-Schneefeld liegt vor uns. Ich probiere zu queren, doch das kostet zu viel Zeit. Kurzerhand entscheide ich mich auf dem Hosenboden runter zu rutschen. Was ein Spaß! Ein paar Läufer folgen meinem Beispiel und wir lachen. Ab jetzt vergesse ich alles! Es wird gerutscht was das Zeug hält, und wir alle haben ein Mordsspass. Doch die Zeit rinnt weiter. Als ich wieder festen Boden unter meinen Füßen habe nehme ich meine Beine in die Hand und renne, ja ich renne, was das Zeug häl! Über grüne Alm-Wiesen zu einem technischen Downhill in Serpentinen Form hinab. Die erste VP Puitbach wartet auf mich und ich klatsche mich mit meinem Freund Philipp an einer Weggabelung kurz ab. Ich freue mich sehr über seinen Support!


Die Zeit wird knapp
Die VP ist gerammelt voll, mit Mühe bekomme ich die Trinkblase aufgefüllt und esse eine Kleinigkeit. Ich habe den Cut-Off um 15 Min geschafft! Das ist brutal knapp, daher kann ich mich nicht lange ausruhen, ich muss schnell weiter zur nächsten VP nach Mittenwald und Zeit gut machen. Ich renne und gehe im Wechsel. Der Weg ist eher langweilig aber immerhin relativ gerade und flach und führt an der Leutascher Geisterklamm entlang. An der VP Schützenhaus in Mittenwald esse ich erstmals mehr, fülle alles auf und ich freue mich über Wassermelone und Cola! Zucker ist doch ein toller Energielieferant. Auch komme ich mit einigen Läufern ins Gespräch, darunter Dennis, Polizist aus dem hohen Norden Deutschlands. Ihn werde ich noch länger auf meinem Weg Richtung Zugspitzmassiv begegnen.

Und weiter geht´s! Alles was bergauf geht wird gespeed-hiked und Downhill wird gelaufen. Der Wald bietet einen schönen Wurzelweg und etwas Kühle, an diesem mittlerweile brutal, schwül warmen Tag. Plötzlich erscheint der Ferchensee vor mir, und man sieht das Massiv in all seiner Pracht, wunderschön! Ich würd am liebsten in den See rein springen, laufe aber brav bis zur nächsten VP am Gasthof. Zwei Stunden habe ich aufgeholt! Das is doch schon mal was und sollte als Puffer halten.
Am Gasthof an der VP holt mich Dennis auch wieder ein, wir reden, essen und machen uns gemeinsam auf den Weg in Richtung Elmauer Schloss und Elmauer Alm. Wir haben bislang 30 Km absolviert und müssen nun 14,3 Km ohne VP auskommen. Das wird lang! Und das Wetter verschlechtert sich. Es drückt und wird immer schwüler.


Nach einigen gemeinsamen Kilometern laufe ich wieder alleine, und kämpfe mich jeden Hügel hoch, der Schweiß rinnt überall an mir runter, es ist brutal schwül und drückend. Als ich die Elmauer Alm passiere prophezeit uns die Bergwacht, die überall auf der Strecke postiert ist, dass es in einer Stunde anfängt zu regnen und zu gewittern. Ich hoffe nicht! Der Megamarsch einige Monate vorher war schon Regenreich genug!
Ich kämpfe mich weiter Hügel um Hügel hoch, laufe rauf und runter und irgendwo kurz vor´m Gasthof Eckbauer holt mich Dennis wieder ein. Wir sind platt und setzten uns erstmal auf eine Bank und machen kurz rast.
Shit, ist das anstrengend!


Das schwerste Teil
Doch ich muss weiter, Dennis bleibt noch sitzen aber wir sehen uns bestimmt wieder. Ich passiere die magische Marathon Distanz, die ich noch nie gelaufen bin und bin plötzlich überwältigt. Noch nie war ich so weit gelaufen! Das ist ein tolles Gefühl.
Als ich am Gasthof Eckbauer vorbei laufe werde ich von den Wirtsleuten angefeuert, soviel Support freut und pushed einen. Richtung Vordergraseck blicke ich in den Himmel, das Wetter macht mir Sorgen. Es wird immer dunkler Richtung Reintal. Über die eisernen Brücke geht es über die Partnachklamm Richtung VP Partnachalm. Ich merke wie meine Akkus immer leerer werden und kämpfe mich wirklich im Stop & Go den Weg hinauf zur nächsten VP. Was für eine Tortur!
An der VP erwarten mich meine Freunde – meine Support Crew. Ich bin mega happy sie zu sehen, jedoch muss ich mich erstmal hinsetzen, ich bin total platt, der Akku ist auf Null. Es muss was zu essen her am besten mit reichlich Kalorien, auch darf die Cola nicht fehlen. Da kommt Dennis auch wieder um die Ecke. Auch er ist platt und muss sich kurz auf die Bank legen. Ich erfahre später dass die meisten Läufer hier aufgehört haben, wir aber nicht! 44,3 Km haben wir schon zurück gelegt und weitere 19 Km mit gut 1200 Hm warten noch auf uns. Das wird ab jetzt nur noch hart!

Ich verabschiede mich von meinen Freunden und starte mit Dennis gemeinsam in Richtung Hochalm. Wir laufen, unterhalten uns, es macht Spaß! Wir passieren die Laubhütte, hier grillt die Bergwacht und trinkt gemütlich Bier. Och, da könnten wir jetzt auch bleiben… denke ich mir, schüttle den Gedanken jedoch schnell ab. Der Anstieg wartet auf uns und ich hab einen riesen Respekt davor. Aus einem voran gegangenen Trainingslauf weiß ich was auf mich zukommt. Wieder verabschiede ich mich von Dennis, und kämpfe mich nach oben. Der Weg verläuft brutal steil im Zick-Zack. Wir haben ja schon einige Kilometer und Höhenmeter hinter uns, deshalb wird das hier kein leichtes Unterfangen. Ein Läufer mit Hund überholt mich, Respekt an das Tierchen, dem merkt man keine Müdigkeit an. Auch ich überhole einige Männer und feuere sie an nicht aufzugeben. Support ist hier alles!
Ein Teilerfolg
Endlich bin ich Oben angekommen! Ich bin sau platt, aber es gibt einen Trail-Gott. Die Bergwacht steht direkt am Weg-Ausgang und schenkt uns Cola, aus. Ich bin unendlich dankbar für den Zucker-Koffein Schub! Doch die Zeit rinnt, weiter geht´s in Richtung VP Hochalm. Ich laufe und laufe, alles erscheint unendlich, und ich blicke dauernd auf die Uhr. Um 5 Minuten erwische ich noch den regulären Cut-Off, wo habe ich denn wieder soviel Zeit verloren, verdammt?
Doch mit lange Ausruhen ist´s hier nicht. Ich muss zur Bergstation Alpspitzbahn über einen steilen Steig hinauf. Als ich mich die ersten Paar Meter aufwärts bewege höre ich jemand meinen Namen rufen. Dennis ist auch angekommen und winkt mir von unten zu, ich winke zurück und steige den Steig schwer schnaufend hinauf. Dieser verläuft über Treppen, an Seilsicherungen entlang, auf Schneetreppen in Richtung Bergbahn hinauf, wo mich Bergwachtler anfeuern. Ich bleibe stehen und muss erstmal verschnaufen. Ich bedanke mich bei der Bergwacht, schließlich machen sie einen super Job und holen jeden ab der nicht mehr kann. Großartig!

Jetzt geht´s nur runter, auf der Forststraße entlang am Hang der Skipiste unterhalb der Alpspitze. Meine Beine fühlen sich leicht an, ich fliege und freue mich über die wahnsinnig tolle Aussicht! Da kommt mir ein Jeep langsam entgegen und hält neben mir. „Wie geht´s dir?“ werde ich gefragt, und antworte mit „Gut, bissl müde aber gut, und selbst?“ (das ist wohl so ein Reflex von mir). Ich erkenne die Rennleitung im Auto, und er sagt es gibt keine Cut-Offs mehr und ich soll ab jetzt das Rennen genießen und Spaß haben. What? ernsthaft? Ich reiße die Arme hoch und juble, und bedanke mich! Oh man… ich dachte vielleicht sagt er das Rennen wird wegen Unwetter abgebrochen, aber damit hatte ich jetzt so gar nicht gerechnet. Nun ab zur letzten VP Jägersteig!
Ich habe langsam das Gefühl mein Kopf explodiert und mir haut es bald alle Schalter raus, ich brauche mehr Koffein! Wieder nehmen ich die Beine für den Downhill in die Hand. Endlich an der VP angelangt schaue ich auf die Uhr, den regulären Cut-Off hätte ich auch hier um 2 Min geschafft wenn die Cut-Offs noch gelten würde. Laut dröhnt Musik aus der VP. Passenderweise spielen sie „Stairway to Heaven“ und ich setze mich mit einem Becher Cola erstmal auf eine Bank und versuche mich auf den kommenden Downhill zu konzentrieren. Es ist kurz nach 20 h 30 und es wird Zeit für die Stirnlampe.

Ich fliege bergab
Ich laufe los, springe die Stufen des Jägersteigs hinunter, überhole den Läufer mit dem Hund und laufe bis zur Wasserquelle die ich queren muss. Doch plötzlich rutsche ich aus und lande ziemlich doof auf meiner rechten Hand. Shit! Was war das denn? Dies reißt mich jetzt komplett raus, ich verliere kurz die Orientierung. Fragen über Fragen sind in meinem Kopf. Haben meine Schuhe kein Profil mehr? Hab ich nicht richtig aufgepasst. Ich bin verunsichert und laufe langsamer den Steig hinunter, ich schlittere. Warum? An der Forststraße angekommen schaue ich mir das Profil meiner Trailschuhe an. Aber ich sehe genug Stollen, keine Abnutzung. Was ist da los?
Ich laufe weiter, und biege zum zweiten Teil des Steiges ein. Nach ein paar Metern rutsche ich wieder aus und fliege hin. Shit…. was is da los? Als ich aufstehe zieht es mir gleich wieder den Boden unter den Füßen weg. Ahhhhh sche…, der Boden ist spiegelglatt! Zu viele Läufer und die schwülen Temperaturen haben eine Art Eisfläche aus dem steilen Hang gemacht. Ich stürze noch etliche Male. Ich gehe wie auf rohen Eiern, immer mit meinen Stöcken voran, den Steig herunter. Der Plan war schnell den Downhill zu meistern und hier keine Zeit zu verlieren! Mein Herz rast wie wild, mein Kopf hämmert! Alles ist auf Alarm! Es dauert alles ewig lang, dabei sind es nur 5 Km. Doch endlich sehe ich Lichter von Fans die an der Abzweige in Richtung Höllentalklamm stehen und uns Läufer anfeuern. ENDLICH, ich hab´s geschafft, ich bin unten, na sauber sog i! Es ist schon nach 23 Uhr…. soviel Zeitverlust, ich ärgere mich sehr! Mehr wie 1 1/2 Stunden hat mich der rutschige Steig gekostet, den ich unter anderen Bedingungen in 25-30 Minuten runter gelaufen wäre!
Das Ende naht
Einige Traillauf-Fans stehen in Hammersbach klatschen mit mir ab und beglückwünschen mich. Ich laufe auf der geraden, auf Asphalt und bin froh, extrem froh über die letzten unkomplizierten Meter! Als ich das Ziel sehe, und meine Freunde; ist alles wie vergessen. Ich bin endlich da, und ja es hat brutal lange gedauert – viel länger als erwartet!
14:43:54 habe ich gebraucht, da ich ja später gestartet bin. Im Ranking habe ich den 78ten Platz bei den Damen gemacht. Ich wäre zwar knapp, aber noch innerhalb des regulären Cut-Offs in´s Ziel gerannt, das ist doch immerhin etwas!
Als wir in Richtung Hammersbach gehen sehen wir ein wahnsinniges Wetterleuchten über dem Massiv. Kurze Zeit später setzt ein heftiger Regen ein, ich bin unendlich dankbar und müde. Bis zum nächsten Mal, denn ich komme wieder!


Ein großes Dankeschön geht an den Veranstalter für den großartig organisierten Event! Alle Helfer und speziell die Bergwacht für den Support!
*Unbezahlte Werbung, da Markennennung, Veranstaltungsnennung, Ortsnennung!